Monday 26 August 2019

Exhibition text, Art Vienna, Special exhibition "Hofburg unter dem Teppich", curated by Georgij Melnikov, Vienna, March 2019


Die Hofburg, dem politischen Zentrum Österreichs, welche bislang am brisantesten durch Thomas Bernhard zum Austragungsort einer gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung wurde, wird häufig von Anhängern verschiedenster politischer Gesinnungen und auch aus unpolitischen Anlässen als geschichtsträchtiger Veranstaltungsort genutzt. Zur Premiere der Art Vienna wollte sich Künstler und Kurator Georgij Melnikov auf das Gebäude mit all seinen gesellschaftsrelevanten Gesichtspunkten beziehen. Unser Kulturerbe, unser gelebter Alltag, setzt sich aus unzähligen fremden Einflüssen zusammen, mit Elementen, welche zum Zeitpunkt ihrer - manchmal sogar räuberischen - Aneignung als begehrlich oder nützlich schienen. So kam zum Beispiel der Teppich durch Kreuzzüge nach Europa. Heutzutage findet man ihn vorwiegend auf Böden, wobei er anfangs (oder in den Niederlanden bis vor kurzem noch oft) als Luxusgut auf Wänden oder Tischen platziert wurde. Bei Staatsempfängen, Bällen und Pressekonferenzen werden in der Hofburg Teppiche ausgerollt, die nur einmal Verwendung finden. Melnikov lud die präsentierten Künstler ein, einige jener Läufer, die tatsächlich bei in der Hofburg stattgefundenen Events eingesetzt wurden, als Metaebene für diese Ausstellung zu verwerten. Das Video mit dem Titel “Stockholm Syndrom” des aus Serbien stammenden Künstlers Milan Mladenovic beschwört die zahlreichen und komplexen Verflechtungen der österreichischen Eingriffe auf den Balkan und die ambivalente Haltung einer Diaspora in Österreich, zwischen gegenseitiger Verbundenheit und Verachtung, herauf. Das Datum, das auf dem Kalender im Video aufscheint, ist der 2.Juli 1914, der Tag, mit dem ein Brief Kaiser Franz Josefs an Kaiser Willhelm II. datiert ist, in dem er die gezielte Schwächung des damaligen Serbiens empfiehlt, da er eine von Serben und Russen initiierte panslawistische Entwicklung befürchtete. In den Liebkosungen die der Künstler der Büste Kaiser Franz Josefs schenkt wird der oben genannte Zwiespalt zum Ausdruck gebracht. Sophia Süßmilch lotet auch in dieser Arbeit via Nacktheit Grenzen aus und evoziert damit simultan Verwundbarkeit und Potenz. Die Spannung, die der ironischen Distanz und aggressiver Nähe entspringt, entfaltet sich zur schmerzlichen Komik. Mit dieser Arbeit lenkt sie den Blick auf die frivole Seite der Hofburg’schen Festlichkeiten. Die körperlich anmutenden Elemente im Bild scheinen sich den Enthusiasmus, der auf Feierlichkeiten in der Luft liegt, einzuverleiben, nur um ihn mittels eines Berstens dieser wieder zurückzugeben. Das Symbol und zugleich narrative Konstante des Künstlerkollektivs We Productions, bestehend aus Anny Wass und Gert Resinger, welches sich aus dem doppelten und verdrehten Einsatz des englischen Wortes “WE” zusammensetzt, ist beabsichtigtes semiotisches Dynamit. Die Unmittelbarkeit, mit der ein Vergleich mit einem Hakenkreuz aufkommt, scheint die subtil-schlaue Farce, mit der die Salonfähigkeit einer menschenverachtenden Haltung Zentimeter für Zentimeter erschlichen wird, zu entblößen. Die Zwillingsteppiche, die sie für die Ausstellung bearbeiteten spielen beide mit Konnotationen, die von den Begriffen Wasser und Blut hervorgerufen werden, eines dicker als das andere, sich in reichen Ländern befindende Pools, das in Sicherheit führendes Überqueren von Gewässern, etc. HC Playner spielt in ihren Arbeiten (und ihrem Künstlernamen) mit Begriffen wie Vaterlandsliebe und nationalem Zugehörigkeitsverständnis als sich anbietende, mögliche Säulen der indiviuellen Identitätsbildung und dem extremen Ausdruck dessen. Durch eine Überspitzung, die in solcher Form bei bestimmten Gruppierungen - dort allerdings allen Ernstes - durchaus vorkommt, hebt sie die gewisse Lächerlichkeit und Holprigkeit, mit der so ein Selbstverständnis zusammengebastelt wird, hervor. Statt gänzlichen Verzicht auf Differenzierung wird demonstriert, wie diese auf einer größeren Skala stattfinden kann, wenn man aufgrund der kollektiv geschürten Ängste den Schutz innerhalb einer Gruppe sucht. Der sich auf einem Wappen befindende Text stellt der allzu absuren Realität mit dem beschriebenen fiktiven Splatter Szenario einen noch absurderen Ausbruch aus dieser gegenüber. Alfredo Barsuglia’s Arbeit oszilliert - wie in seinem gesamten Oeuvre - zwischen Illusion und Realität. Mit der Vorgehensweise eines Filmregisseurs arrangiert er Spuren, die in dieser Arbeit auf eine fiktive Gewalttat oder einen Unfall hinweisen. Der Teppich wird mit dem recht großen Brandloch, einem teils verkohltem, umgefallenem Stuhl und einer mit Blut verschmierten Glasscherbe als Tatort inszeniert und veranschaulicht mit solch einfachen Mitteln, das selbst banalste Alltagsgegenstände zu potenten Trägern von Geschehenem avancieren können, die in weiterer Folge eine unheimliche Ladung vergangener Begebenheiten mit sich tragen. Der von Livil (Oliver Hölzl) entwickelte Teppich, auf dem ineinander verkeilte Adler, die er diversen Fahnen und Epochen entnommen hat, gezeigt werden, thematisieren einerseits das paradoxe Phänomen des international vernetzten Nationalismus sowie den Adler selbst als historisches und gegenwärtiges Symbol nationaler Macht. Auf seiner zweiten Arbeit ist das World Press Photo 2017 abgebildet, welches ein randvoll mit Flüchtlingen besetztes Boot von oben darstellt, und mit der Bootsnase nach unten zeigend an die Wasserrutsche im Prater erinnern mag, was wiederum mit der fehlenden Empathie des Westens dem Problem der Fliehenden gegenüber resoniert. Adele Razkövi dokumentiert mit dem von ihr verarbeiteten Teppichs die gegenwärtigen Donnerstagsdemonstrationen sowie spezifisch die Demonstrationen die durch den Akademikerball hervorgerufen wurden. Das dem Teppich entnommene motorbetriebene Stoffmobile, welches über der verbleibenden Teppichfläche schwebt und ziemlich viel Raum in Anspruch nimmt, reflektiert ihren gewohnten medienübergreifenden Zugang, der Grafik, Malerei, Objektkunst, Installation, Fotografie sowie experimentelle Videos umfasst. Super Nase & Co. betiteln auch in dieser Ausstellung ihre Werke mit “This is not ...”, wobei genau diese Negation des offensichtlichen Inhalts des Werkes erstens eben jenen unterstreicht und veranschaulicht zweitens Versuche, die eigenen Aktionen mit gegenteiligen Behauptungen einfach wegzuschwätzen – wie sich zB. auf politischer Ebene häufig bezeugen lässt. In “This Is Not Ćilim” wird diese spezielle Webart als Analogie für die Wechselwirkung zwischen den kulturellen Einflüßen in Österreich und die subjektive Haltung dazu reflektiert. In “This is not Schlagender Burschenschafter”  schlägt eine wie eine Burschenschafter gekleidete Person mit einem Staubteppichklopfer auf einen Akademikerballteppich ein, um diesen von Schmutzpartikeln zu befreien. Das ist keinesfalls eine Anspielung auf mehr oder weniger unglaubwürdige Imagepolitur. Veronika Suschnig’s Teppiche beziehen sich mit den Zuckerglasur-artigen Verzierungen auf die Zuckerbäckerstiege, über welche sowohl Sohn als auch Mann von Maria Theresia, mit oder ohne “Gspusi”, von den Bällen flüchteten. Persönliche Berührunsgspunkte mit sexuellen Übergriffen auf der Ballkultur, die von einer Schlägerei zwischen zwei Männern zwecks Anspruchsklärung auf die Künstlerin und das Begleiten derselben bishin zu einer Vergewaltigung einer ihrer Freundinnen reichen, werden durch das Abbilden verschiedener sexuell geladener Szenarien und Symbole illustriert. Nach längerer Recherche wurde sich die Künstlerin der Häufigkeit solcher Vorkomnisse – speziell auf Bällen - bewusst. Anna Vasof’s Vorgehensweise benutzt Witz und Unfug als allgemein verständlichen Wesenszug in ihren Arbeiten. So schlägt sie ihren Kopf gegen Gegenstände, in einer älteren Arbeit waren es Denkmäler, in diesem Fall sind es Sektgläser. Der Klang, der dabei erzeugt wird, wird von ihr in einem simultan verschiedene Aufzeichnungen widergebenden Video zu einem Lied orchestriert.